Wir sind Kinder unserer Zeit.



Gut erzogene Kinder wie wir übernehmen arglos und unbedarft die Denkweisen und Ansichten ihrer Eltern.


Und die der Zeit.

Einleitung (1/8)

 

Wir sind Kinder unserer Zeit.

Gut erzogene Kinder wie wir übernehmen arglos und unbedarft die Denkweisen und Ansichten ihrer Eltern.

Und die der Zeit.

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Wenn farbige Socken angesagt sind, tragen wir auf einmal Socken mit bunten Ringen.

Wenn fleischlos essen in Mode ist, kaufen wir edle Fertiggerichte mit Fleischersatz.

Wenn es angesehen ist, im Beruf Erfolg zu haben, tun wir alles Menschenmögliche dafür.

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Wir haben Spass daran, dem Ruf der Zeit zu folgen und alles immer wieder ein bisschen schneller und effizienter zu tun. Wir teilen unsere kostbare Zeit akribisch ein und schauen zu, dass wir möglichst viel gleichzeitig erledigen können.

Wir absolvieren Weiterbildungen am Laufmeter, in denen wir Texte und Gedanken überfliegen und deren Essenz zu knappen Stichworten verkürzen, um uns damit im beruflichen Alltag zu profilieren.

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Wir sind allzeit gut aufgelegt, wach und präsent, um uns jederzeit perfekt und schlagfertig in Szene setzen zu können. Wir denken positiv und geben uns keine Blösse. Umgeben uns mit Freunden, die uns nützen.

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Wir vertrauen jenen, die es sich auf Kosten ihrer Umwelt wohl ergehen lassen, während sie uns in ausgewählten Worten ihre weisse Weste zeigen.

Wir eifern ihnen noch nach, wenn sie längst das Weite gesucht und uns mit dem Scherbenhaufen allein gelassen haben.

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Wenn wir es in der Politik und am Arbeitsplatz aufgegeben haben, etwas bewirken zu wollen – beim Einkauf lässt man uns mitbestimmen. Wir können wählen, welches Getränk wir bevorzugen und von welchen Rabatten wir profitieren wollen.

Und wir können uns Ferien leisten in Ländern, wo die Natur noch unberührt ist.

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Wir freuen uns aufrichtig, wenn wir via Nachrichten erfahren, dass sich nach einem Unfall der Stau wieder aufgelöst hat, Preise gesenkt wurden oder unsere Firmen ihre Gewinne und ihr Wachstum haben steigern können.

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Wenn wir Kinder unserer Zeit sind, und das bereits seit Langem – wäre es da nicht mal angesagt, ein wenig zu pubertieren? Unsere Denkweise unter die Lupe zu nehmen und unsere Gewohnheiten in Frage zu stellen? Alles ein bisschen ruhiger zu nehmen. Nicht mehr auf jeden Werbefurz hereinzufallen. Vorauseilenden Ungehorsam zu üben. Und ganz allgemein dem Schnellermehrperfekter täglich etwas Kleines entgegenzusetzen.

 

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